Anwendungen der Fortpflanzungsmedizin
In-vitro-Fertilisation (IVF)
Die IVF ist in der Schweiz seit 2001 durch das Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) geregelt. Hierbei werden Eizellen der Frau entnommen und ausserhalb des Körpers mit den Spermien des Partners oder eines Spenders befruchtet. Die befruchteten Eizellen – sogenannte Embryonen – werden anschliessend in die Gebärmutter eingesetzt. Dieses Verfahren wird in der Regel bei Verschluss der Eileiter, Endometriose oder unerklärter Infertilität angewendet (2). Die Erfolgsrate hängt massgeblich vom Alter der Frau ab und liegt in der Schweiz bei unter 35-Jährigen bei rund 35 % pro Embryotransfer (3). Pro Jahr werden über 7'000 IVF-Zyklen in der Schweiz durchgeführt³ – mit steigender Tendenz.
Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)
ICSI ist eine Weiterentwicklung der IVF. Hierbei wird ein einzelnes Spermium direkt in die Eizelle injiziert – ein Verfahren, das besonders bei männlicher Unfruchtbarkeit angewendet wird. Es ermöglicht auch bei extrem niedriger Spermienqualität eine Befruchtung (4). In Europa erfolgt über 70 % der assistierten Reproduktionszyklen mittlerweile mit ICSI (5).
Präimplantationsdiagnostik (PID)
Die PID erlaubt die genetische Untersuchung von Embryonen vor der Einpflanzung. Sie wird bei Paaren mit bekanntem Risiko für schwere Erbkrankheiten eingesetzt. Dabei können Chromosomenanomalien oder monogene Erkrankungen erkannt werden. Die Durchführung ist in der Schweiz seit einer Volksabstimmung 2017 unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt (6). Ethisch steht die PID in der Kritik, da sie mit einer Selektion von Embryonen einhergeht.
Herausforderungen und ethische Aspekte
Medizinische Risiken und psychische Belastung
Neben den physischen Risiken – etwa Überstimulationssyndromen oder Mehrlingsschwangerschaften – ist die psychische Belastung erheblich. Viele Paare empfinden die Behandlung als emotional herausfordernd und berichten über Stress, Angst und Depressionen (7). Psychosoziale Beratung wird daher zunehmend als integraler Bestandteil der Behandlung empfohlen.
Zugang und soziale Gerechtigkeit
Die gesetzlichen Regelungen und Kostenübernahmen unterscheiden sich stark zwischen Ländern. In der Schweiz sind IVF- und ICSI-Behandlungen grundsätzlich nicht durch die obligatorische Krankenversicherung gedeckt (8). Die Behandlungen kosten je nach Klinik zwischen 8'000 und 15'000 CHF pro Zyklus (9). Dies führt zu einer sozialen Schieflage, da einkommensschwache Paare benachteiligt sind.
Ethische Fragen und gesellschaftlicher Diskurs
Die Selektion von Embryonen, der Umgang mit überzähligen Embryonen sowie Fragen der Keimbahnveränderung werfen grundlegende ethische Fragen auf. Wo verläuft die Grenze zwischen medizinischer Hilfe und Optimierung des Menschen? In Diskussion steht auch der Zugang für alleinstehende und gleichgeschlechtliche Personen – ein Thema, das zunehmend politisch verhandelt wird.
Zukunftsperspektiven
Forschungen an künstlicher Gametogenese, also der Herstellung von Ei- und Samenzellen aus Haut- oder Stammzellen, eröffnen neue Möglichkeiten – etwa für unfruchtbare Menschen oder gleichgeschlechtliche Paare (10). Ebenso könnten KI-gestützte Embryoselektionen oder die Genom-Editierung mittels CRISPR künftig eine Rolle spielen. Doch viele dieser Entwicklungen stehen erst am Anfang und werfen erhebliche ethische und regulatorische Fragen auf.
Fazit
Die Fortpflanzungsmedizin ist ein dynamisches Feld, das Hoffnung für viele Menschen bietet. Gleichzeitig müssen medizinische, ethische und soziale Fragestellungen im Dialog zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik geklärt werden. Ein verantwortungsvoller Umgang mit den Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin ist essenziell, um Autonomie, Gerechtigkeit und Menschenwürde zu wahren.
Quellen
1. WHO (2023). Infertility – Key facts. https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/infertility
2. ESHRE (2022). ART Fact Sheet. European Society of Human Reproduction and Embryology.
3. De Geyter, C., et al. (2020). ART in Europe, 2016. Human Reproduction Open, hoaa032.
4. Palermo, G., et al. (1992). Pregnancies after intracytoplasmic injection of single spermatozoon into an oocyte. Lancet, 340(8810), 17–18.
5. Kupka, M.S., et al. (2014). Assisted reproductive technology in Europe, 2010. Human Reproduction, 29(10), 2099–2113.
6. SAMW (2020). Medizinisch unterstützte Fortpflanzung – Ethische Richtlinien. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften.
7. Gameiro, S., et al. (2014). Psychological and educational interventions for infertility: a systematic review. Human Reproduction Update, 20(3), 314–329.
8. Swissmom.ch (2023). Kosten einer Kinderwunschbehandlung in der Schweiz.
9. IVF-Schweiz.ch (2024). Preise für künstliche Befruchtung.
10. Sharma, A., et al. (2022). Artificial gametogenesis: progress and prospects. Nature Reviews Genetics, 23(5), 284–297.
³ FOPH – Bundesamt für Gesundheit (2023). Statistik zur medizinisch unterstützten Fortpflanzung in der Schweiz.
(Bild: Google DeepMind / Unsplash)