Epigenetik

Im Gegensatz zur klassischen Genetik, die sich auf die DNA-Sequenz konzentriert, untersucht die Epigenetik, wie Gene aktiviert oder deaktiviert werden, ohne dass die zugrundeliegende DNA-Sequenz verändert wird.

Züruck

Was ist Epigenetik?

 

Der Begriff Epigenetik kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich «über der Genetik». Der Begriff wurde ursprünglich von Conrad Waddington definiert (1). Die Epigenetik umfasst eine Reihe von Mechanismen von vererbbaren Veränderungen der Genaktivität, die nicht durch Änderungen in der DNA-Sequenz selbst verursacht werden. Diese Mechanismen funktionieren wie molekulare Schalter, die bestimmen, welche Gene zu welchem Zeitpunkt und in welchem Gewebe ein- oder ausgeschaltet werden.

Drei Hauptmechanismen der Epigenetik

DNA-Methylierung

Die DNA-Methylierung ist einer der am besten erforschten epigenetischen Mechanismen. Hierbei werden Methylgruppen an bestimmte Stellen der DNA angehängt. Diese chemische Modifikation funktioniert wie ein Riegel oder eine Bremse. Diese führt in der Regel zur Unterdrückung der Genaktivität.

Histonmodifikationen

Die DNA ist im Zellkern um Proteine namens Histone gewickelt, was zur Bildung von Chromatin führt. Die Enden (oder «Schwänze») dieser Histone können verschiedene chemische Modifikationen erfahren. Diese Modifikationen beeinflussen, wie locker oder dicht das Chromatin gepackt ist, was wiederum die Genaktivität beeinflusst. In der Regel führt eine dichtere Packung zu einer niedrigeren Genexpression und eine lockerere Packung zu einer höheren Genexpression.

Nicht-kodierende RNAs

Nicht-kodierende RNAs, insbesondere mikroRNAs und lange nicht-kodierende RNAs, spielen eine wichtige Rolle bei der epigenetischen Regulation. Sie können die Genexpression auf verschiedene Weise beeinflussen, beispielsweise durch die Bindung an mRNA und deren Abbau. Für die Entdeckung dieses Mechanismus wurde im Jahr 2024 der Medizinnobelpreis an die Forscher Victor Ambros und Gary Ruvkun verliehen (2).

Umwelteinflüsse und Epigenetik

Eine der aufregendsten Erkenntnisse der Epigenetik ist, dass Umweltfaktoren epigenetische Veränderungen beeinflussen können (3). Ernährung, Stress, körperliche Aktivität, Umweltgifte und andere externe Faktoren können epigenetische Muster verändern und damit die Genexpression beeinflussen. Studien haben gezeigt, dass diese umweltbedingten epigenetischen Veränderungen sogar über Generationen hinweg weitergegeben werden können, was das traditionelle Verständnis der Vererbung herausfordert (3). Ein bekanntes Beispiel ist die niederländische Hungerwinter-Studie, die zeigte, dass Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft einer Hungersnot ausgesetzt waren, ein höheres Risiko für bestimmte Erkrankungen hatten und epigenetische Veränderungen aufwiesen (4).

Dass die Ernährung der Mutter Auswirkungen auf die epigenetische Signatur der Nachkommen hat, konnte in Tierversuchen gezeigt werden. Bei Versuchen mit Mäusen konnte gezeigt werden, welche Mechanismen dahinterstecken: das Experiment mit den sogenannten Agouti-Mäusen gehört zu einem der klassischen Epigenetik- Experimenten (3). Bei den Agouti-Mäusen ist das Agouti-Gen, welches für die Fellfarbe verantwortlich ist, so verändert, dass die Mäuse ein gelbliches Fell tragen, anstelle des für Mäuse üblichen dunkelbraunen. Das Gen bildet nämlich ein Enzym, welches die Pigmentbildung beeinflusst. Die Aktivität kann jedoch durch Methylierung des Gens unterdrückt werden. Die Forscher wollten nun testen, ob sie durch die Ernährung der Mäuse die Methylierung des Gens so verändern konnten, dass sich die Aktivität des Gens verändert. Sie fütterten trächtige Mäuse mit Substanzen, welche die Methylierung aktivieren, so wie zB. Folsäure und Vitamin B12. Die Jungen der so gefütterten Mäuse kamen darauf mit braunem Fell zur Welt. Die molekularen Untersuchungen an den Mäusen ergaben dann, dass das Agouti-Gen in den neugeborenen Mäusen durch zusätzliche Methylierung inaktiviert war und sie deshalb anstatt des gelben Fells ein braunes trugen (3).

Einblicke in die aktuelle Forschung

Entwicklung der Lebewesen

Epigenetische Mechanismen spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Lebewesen. Forscher konnten nämlich feststellen, dass sich die epigenetischen Markierungen auf der DNA während der embryonalen Entwicklung verändern. Es wurde beispielweise gezeigt, dass, wenn ein Gen, welches für die epigenetische Regulierung durch das Chromatin zuständig ist, ausgeschaltet wird, sich die Eizellen und Embryonen nicht richtig entwickeln können (5). Eine ausführliche Karte der epigenetischen Mechanismen, die die Entwicklung der Eizellen und Embryonen steuern, wird momentan erforscht (6).

 

Vererbung von einer Generation zur nächsten

Die epigenetische Information wird wie gesagt von einer auf die nächste Generation übertragen. Die Muster, wie die epigenetische Information von der Mutter auf die nächste Generation weitergegeben wird, wurden bereits weitgehend untersucht (7). Es stellt sich heraus, dass ein bestimmtes Set an definierten molekularen Mechanismen darin involviert ist, zB. das Chromatin (7). Die epigenetische Information wird aber auch vom Vater über die DNA der Spermien weitergegeben. In Mäusen wurde beispielsweise beobachtet, dass Defekte in der epigenetischen Signatur der DNA in Spermien in den nächsten Generationen zu Entwicklungsstörungen führen kann (8).

 

 

Epigenetik in der Klinik

Die Erkenntnisse der Epigenetik hat das Bild des Genoms entscheidend verändert und die Grundlagen-Forschung nachhaltig beeinflusst. Doch was bringen die Erkenntnisse der Epigenetik in der Klinik? Wie können die Resultate eingesetzt werden, um Behandlungen zu verbessern und Patientenleben zu beeinflussen?

Klinisch wird Epigenetik heutzutage beispielsweise in der Krebsdiagnose und in der Krebsbehandlung eingesetzt. Aufgrund von epigenetischen Markern auf der DNA der Krebszellen kann die Diagnose verbessert werden. Beispielsweise können die Muster dabei helfen, den Krebs frühzeitig zu erkennen, da sich die epigenetische Signatur von Krebszellen und gesunden Zellen unterscheidet (9).  Marktreife klinische Tests gibt es dabei für eine Reihe von Krebsarten wie Darm-, Leber-oder Lungenkrebs (9). Mit den Tests lässt sich auch besser nachverfolgen, wie der Krebs fortschreitet und wie gut die Therapie anschlägt (9). Ein anderes, sich rasch entwickelndes Forschungsgebiet sind die Entwicklung sogenannter epidrugs, also Pharmazeutika, welche in die Mechanismen der Epigenetik eingreifen. Diese können die epigenetischen Marker der Krebszellen so verändern, dass sie zytotoxisch wirken und das Absterben der Zellen bewirken. Einige solche Krebsmedikamente sind bereits von der US-amerikanischen Behörde FDA zugelassen (9).

 

 

Quellen

 

1. Noble D. Conrad Waddington and the origin of epigenetics. J Exp Biol. 15. März 2015;218(6):816–8.

2. NobelPrize.org [Internet]. [zitiert 16. Mai 2025]. Press release: The Nobel Prize in Physiology or Medicine 2024. Verfügbar unter: https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/2024/press-release/

3. Spork P. Der zweite Code. Epigenetik oder: Wie wir unser Erbgut steuern können. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag; 2010.

4. De Rooij SR, Bleker ,Laura S., Painter ,Rebecca C., Ravelli ,Anita C., and Roseboom TJ. Lessons learned from 25 Years of Research into Long term Consequences of Prenatal Exposure to the Dutch famine 1944–45: The Dutch famine Birth Cohort. Int J Environ Health Res. 3. Juli 2022;32(7):1432–46.

5. Eymery A, Liu Z, Ozonov EA, Stadler MB, Peters AHFM. The methyltransferase Setdb1 is essential for meiosis and mitosis in mouse oocytes and early embryos. Development. 1. August 2016;143(15):2767–79.

6. Du Z, Zheng H, Kawamura YK, Zhang K, Gassler J, Powell S, u. a. Polycomb Group Proteins Regulate Chromatin Architecture in Mouse Oocytes and Early Embryos. Mol Cell. 20. Februar 2020;77(4):825-839.e7.

7. Stäubli A, Peters AH. Mechanisms of maternal intergenerational epigenetic inheritance. Curr Opin Genet Dev. April 2021;67:151–62.

8. Siklenka K, Erkek S, Godmann M, Lambrot R, McGraw S, Lafleur C, u. a. Disruption of histone methylation in developing sperm impairs offspring health transgenerationally. Science. 6. November 2015;350(6261):aab2006.

9. Davalos V, Esteller M. Cancer epigenetics in clinical practice. CA Cancer J Clin. 2023;73(4):376–424.